Arbeitsunfähig nach Kündigung: Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

18.12.2023

Mit seiner Entscheidung vom 13.12.2023 (5 AZR 137/23, bislang nur Pressemitteilung) hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) seine Rechtsprechung zum Beweiswert von ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigung) bei zeitlicher Koinzidenz von Arbeitsunfähigkeit und Kündigungsfrist weiter geschärft.

Hintergrund: Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Macht ein Arbeitnehmer Entgeltfortzahlungsansprüche nach § 3 Abs. 1 EFZG geltend, muss er die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit darlegen und beweisen. In der Regel genügt hierfür die Vorlage einer AU-Bescheinigung. Die Rechtsprechung misst der ordnungsgemäß ausgestellten AU-Bescheinigung einen hohen Beweiswert zu. Um diesen zu erschüttern, muss der Arbeitgeber zwar nicht das Gegenteil beweisen, aber er muss tatsächliche Umstände vortragen und ggf. beweisen, die ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber regelmäßig keine Kenntnis von den Krankheitsursachen etc. hat. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der AU-Bescheinigung zu erschüttern, muss der Arbeitnehmer die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit weiter darlegen und ggf. beweisen.

Bereits 2021 hatte das BAG entschieden, dass sich solche ernsthaften Zweifel auch aus der zeitlichen Koinzidenz von Arbeitsunfähigkeit und Laufzeit der Kündigungsfrist ergeben können (BAG, Urteil vom 8.9.2021 – 5 AZR 149/21). Damals hatte eine Arbeitnehmerin dem Arbeitgeber zugleich mit ihrer Kündigung eine AU-Bescheinigung für den Zeitraum der Kündigungsfrist übergeben. Das BAG sah den Beweiswert der Bescheinigung als erschüttert an und hatte einen Entgeltfortzahlungsanspruch abgelehnt.

BAG-Entscheidung vom 13.12.2023

Wie sich aus der Pressemitteilung zum Urteil vom 13.12.2023 ergibt, gilt dies nicht nur bei „vollständiger“ zeitlicher Koinzidenz:

Der Arbeitgeber hatte mit Schreiben vom 2.5.2022, welches dem Arbeitnehmer am 3.5.2022 zuging, zum 31.5.2022 gekündigt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Arbeitnehmer bereits arbeitsunfähig gemeldet, nämlich mit AU-Bescheinigung vom 2.5.2022 für die Zeit vom 2.5.2022 bis 6.5.2022. Der Arbeitnehmer legte dann Folgebescheinigungen für die Zeit bis zum 31.5.2022 vor (AU-Bescheinigungen vom 6.5.2022 für die Zeit bis 20.5.2022 und vom 20.5.2022 für die Zeit bis zum 31.5.2022) bescheinigt. Am 1.6.2022 war er wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf. Der Arbeitgeber hatte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit und verweigerte die Entgeltfortzahlung für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitnehmer klagte vor dem ArbG und dem LAG erfolgreich auf Entgeltfortzahlung.

Mit seiner Revision hatte der Arbeitgeber für die Zeitraum vom 7.5.2022 bis 31.5.2022 Erfolg. Für die AU-Bescheinigung vom 2.5.2022 sei der Beweiswert nicht erschüttert. Insoweit fehle es an der zeitlichen Koinzidenz zwischen Beginn der Arbeitsunfähigkeit und Zugang der Kündigung. Für die beiden weiteren AU-Bescheinigungen (vom 6.5.2022 und 20.5.2022) sah das BAG allerdings den Beweiswert als erschüttert an. Die Verlängerungen deckten genau den Zeitraum der Kündigungsfrist ab und der Arbeitnehmer habe unmittelbar im Anschluss eine neue Beschäftigung aufgenommen. Nun ist es am Arbeitnehmer, vor dem LAG seine Arbeitsunfähigkeit für diesen Zeitraum weiter darzulegen und zu beweisen.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung zeigt erneut, dass es durchaus berechtigt sein kann, die AU-Bescheinigung anzuzweifeln, wenn die Arbeitsunfähigkeit mit der Kündigungsfrist zusammenfällt. Auch wenn dabei nach dem BAG jeder Einzelfall insgesamt zu würdigen ist, fallen zwei allgemeine Aussagen aus der Pressemitteilung ins Auge:

Zweifel können nicht nur angebracht sein, wenn eine AU-Bescheinigung die gesamte Kündigungsfrist abdeckt. Auch wenn mehrere AU-Bescheinigungen vorgelegt werden, können Zweifel gerechtfertigt sein. Darüber hinaus sprechen die Ausführungen der Pressemitteilung auch dafür, dass Zweifel selbst denkbar sind, wenn die die Arbeitsunfähigkeit bereits vor Ausspruch der Kündigung begonnen hat, z.B. wenn der Arbeitnehmer vorab Kenntnis von einer geplanten Kündigung erlangt (wie im Rahmen einer Anhörung durch den Betriebsrat, § 102 Abs. 2 S. 4 BetrVG) und dann entsprechende AU-Bescheinigungen vorlegt.

Zudem kommt es nicht darauf an, wer – Arbeitnehmer oder Arbeitgeber – die Kündigung erklärt. Auch wenn dies in der Pressemitteilung nicht erwähnt wird, wäre es nur konsequent, wenn dies auch für die Vorlage von AU-Bescheinigung(en) die Restlaufzeit des Vertrags nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags gilt.