BAG zum Equal Pay in der Leiharbeit: Tarifverträge der Zeitarbeit sind wirksam

08.06.2023

Leiharbeitnehmer haben nach dem Gleichstellungsgrundsatz Anspruch auf die gleiche Vergütung wie vergleichbare Stammarbeitnehmer im Einsatzbetrieb. Weit überwiegend macht die Branche von einer gesetzlichen Ausnahme Gebrauch, die eine niedrigere Vergütung für Leiharbeitnehmer durch Tarifvertrag erlaubt. Eine Entscheidung des BAG bestätigt nun die Zulässigkeit dieser für die Praxis wichtigen Abweichungsmöglichkeit vom Gleichstellungsgrundsatz und bringt Rechtssicherheit.

Gleichstellungsgrundsatz und tarifliche Abweichung

In der Zeitarbeit ist der Personaldienstleister nach § 8 Abs. 1 AÜG verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Dauer der Überlassung die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen zu gewähren (Gleichstellungsgrundsatz). Der Leiharbeitnehmer ist wie eine vergleichbare Stammkraft des Entleihers zu behandeln (equal treatment), insbesondere mit Blick auf die Vergütung (equal pay). Davon kann gemäß § 8 Abs. 2, 4 AÜG durch Tarifvertrag zeitlich begrenzt abgewichen werden. Das Modell ist weit verbreitet. Die mit Leiharbeitnehmern abgeschlossenen Arbeitsverträge nehmen regelmäßig auf eines der Tarifwerke der Zeitarbeit Bezug und schließen den Gleichstellungsgrundsatz aus.

Nationale Regelungen zur Leiharbeit müssen jedoch die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2008/104/EG (Leiharbeitsrichtlinie) beachten. Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz sind nach Art. 5 Abs. 3 Leiharbeitsrichtlinie in Tarifverträgen nur „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ zulässig. Seit Längerem in der Diskussion ist, wie der „Gesamtschutz“ zu verstehen ist und ob der deutsche Gesetzgeber diese Vorgaben verletzt hat, indem er im AÜG tarifliche Abweichungen zu Lasten der Leiharbeitnehmer zugelassen hat. Die Folgen wären für Personaldienstleister gravierend, da die Nachzahlung der Entgeltdifferenz an Leiharbeitnehmer sowie entsprechender Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge an die zuständigen Behörden im Raum stünden.

Verstößt die tarifliche Abweichung gegen Europarecht? 

Im Jahr 2020 hatte das BAG darüber zu entscheiden, inwieweit durch Tarifvertrag vom Gleichstellungsgrundsatz abgewichen werden darf. Im konkreten Fall wurde eine Leiarbeitnehmerin von ihrem Arbeitgeber nach den Tarifverträgen bezahlt, die der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen mit Gewerkschaften des DGB geschlossen hat. Diese lassen eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz zu. Die Leiharbeitnehmerin verlangte aber ab dem ersten Tag der Überlassung die gleiche Bezahlung wie die Stammarbeitnehmer des Unternehmens, in dem sie eingesetzt war. Die für sie einschlägigen Tarifverträge – und die darin vorgesehene Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz – seien nicht mit Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie vereinbar. Das BAG hat das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mehrere Fragen zum Gleichstellungsgrundsatz vorgelegt (Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 5 AZR 143/19 (A)).

Vorgaben des EuGH: Abweichende Vergütung nur mit Ausgleich

Am 15. Dezember 2022 hat der EuGH (C-311/21) entschieden, dass grundsätzlich durch Tarifverträge vom Gleichstellungsgrundsatz abgewichen werden kann. Der Tarifvertrag muss jedoch einen Ausgleich vorsehen, um den Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern hinreichend zu berücksichtigen. Dies erfordert eine Prüfung im Einzelfall wonach die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Entleihers mit jenen aus dem Tarifvertrag zu vergleichen sind, der auf den Leiharbeitnehmer Anwendung findet. Die gewährten Vorteile müssen die Ungleichbehandlung ausgleichen. Ein möglicher Ausgleichsvorteil kann nach der Rechtsprechung des EuGH sowohl bei unbefristeten als auch befristeten Leiharbeitsverhältnissen die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein.

Was hat das BAG entschieden?

Nun lag es wieder am BAG, die Vorgaben des EuGH im konkreten Fall zur Anwendung zu bringen. Das BAG hat mit Urteil vom 31. Mai 2023 (5 AZR 143/19) die Revision der Leiharbeitnehmerin zurückgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, also auf ein Arbeitsentgelt, wie es vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers erhalten. Aufgrund des wegen der beiderseitigen Tarifgebundenheit auf das Leiharbeitsverhältnis Anwendung findenden Tarifwerks iGZ/DGB sei die Beklagte nur verpflichtet, die tarifliche Vergütung zu zahlen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 AÜG und § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG aF). Das Tarifwerk iGZ / DGB genüge, jedenfalls im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Schutzvorschriften für Leiharbeitnehmer, den Anforderungen der Leiharbeitsrichtlinie. Eine Abweichung „nach unten“ ließe die Leiharbeitsrichtlinie ausdrücklich zu, sofern dies unter Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer erfolge. Dazu müssten nach der Vorgabe des EuGH Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Das sei hier der Fall, da das Tarifwerk iGZ/DGB die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten gewährleiste. Zudem habe der deutsche Gesetzgeber für den Schutz von Leiharbeitnehmern gesorgt, etwa durch die Übertragung des Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten auf den Verleiher, Lohnuntergrenzen und den gesetzlichen Mindestlohn sowie die zeitliche Beschränkung der Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz auf grundsätzlich neun Monate.

Fazit

Die Grundsatzentscheidung war mit Spannung erwartet worden. Erfreulicherweise hat das BAG die Wirksamkeit der Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz durch das Tarifwerk iGZ/DGB bestätigt. Insbesondere über die Gewährung der Vergütung in verleihfreien Zeiten kann die Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz gerechtfertigt werden. Ein im Rahmen des Gesamtschutzes erforderlicher Ausgleich für eine niedrigere Vergütung kann sich zudem nicht nur aus dem Tarifwerk ergeben, sondern etwa auch aus gesetzlichen Regelungen zur Vergütung von Leiharbeitnehmern. Die bisherigen gesetzlichen und tariflichen Regelungen sind damit tragfähig. Personaldienstleister können die gelebte Vergütungspraxis weiterführen – gute und wichtige Nachrichten aus Erfurt.