Initiativrecht des Betriebsrats für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung (LAG München, Beschluss vom 22. Mai 2023 – 4 TaBV 24/23, Pressemitteilung vom 20. Juni 2023)

14.07.2023

Hintergrund: Die Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)

In seiner viel beachteten Grundsatzentscheidung vom 13. September 2022 (BAG, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21) hat das BAG entschieden, dass dem Betriebsrat kein Initiativrecht hinsichtlich des „Ob“ der Einführung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems zusteht. Als Begründung verwies das BAG darauf, dass es keinen Raum mehr für ein Initiativrecht gebe, wenn und soweit für den Arbeitgeber bereits eine bindende gesetzliche Verpflichtung zur Vornahme einer bestimmten betrieblichen Maßnahme besteht. Und genau dies sei der Fall: für die Arbeitgeber folge eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits aus dem Gesetz.

In seinem Beschluss hat das BAG dann jedoch noch darauf hingewiesen, dass dem Betriebsrat hingegen ein Initiativrecht hinsichtlich des „Wie“, also der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung zustehe.

An diesen Hinweis knüpft das LAG München mit seiner Entscheidung an:

Sachverhalt

Der lokale Betriebsrat hatte von der Arbeitgeberin verlangt, Verhandlungen über die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung der Mitarbeitenden im Außendienst aufzunehmen.

Die Arbeitgeberin lehnte diese Forderung ab. Sie verwies darauf, dass sie sich bereits grundsätzlich für ein elektronisches Arbeitszeiterfassungssystem entschieden habe, für dessen Regelung der Konzernbetriebsrat zuständig sei. Denn auch für die Mitarbeitenden im Innendienst bestünden bereits Konzernbetriebsvereinbarungen über die Arbeitszeit und deren Erfassung durch SAP. Zudem wolle die Arbeitgeberin im Hinblick auf die anstehende gesetzliche Regelung und die geplante Tariföffnung derzeit nichts unternehmen. Sie hoffe darauf, dass die Mitarbeitenden im Außendienst letztlich nicht unter die Aufzeichnungspflicht fallen werden.

Was hat das Arbeitsgericht entschieden?

Das ArbG München hat in erster Instanz auf Antrag des Betriebsrats eine Einigungsstelle eingesetzt. Es verwies auf die Rechtsprechung des BAG zur Arbeitszeiterfassung (BAG, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21) und entschied, dass die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig sei, weil es dem Betriebsrat allein um das „Wie“ und gerade nicht um das „Ob“ der Zeiterfassung ginge.

Was hat das LAG München entschieden?

Das LAG München hat mit seinem Beschluss die Entscheidung des Arbeitsgerichts München bestätigt und an den Hinweis des BAG in seiner Grundsatzentscheidung zur Arbeitszeiterfassung angeknüpft. Der Betriebsrat habe ein Initiativrecht hinsichtlich des „Wie“ der Arbeitszeiterfassung.

Auch könne sich der Arbeitgeber gegenüber diesem Initiativrecht nicht darauf berufen, noch nicht entschieden zu sein, ob er sich rechtmäßig verhalten und der Pflicht zum Handeln nachkommen möchte.

Das LAG entschied zudem, dass der Arbeitgeber nicht allein und einseitig eine Vorentscheidung über die Art der Zeiterfassung treffen könne, die dann ihrerseits ggf. die Mitbestimmung eines Konzernbetriebsrats auslöse. Denn gerade die Entscheidung über die beste Art der Zeiterfassung sei Gegenstand der Mitbestimmung des – regelmäßig örtlichen – Betriebsrats.

Der Beschluss des LAG München ist noch nicht rechtskräftig.

Was heißt das für die unternehmerische Praxis?

Das LAG München führt mit seiner Entscheidung, die bislang nur als Pressemitteilung vorliegt, den Weg des BAG konsequent fort. Es entschied nun „schwarz auf weiß“, dass der (lokale) Betriebsrat bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung zu beteiligen ist. Dem Betriebsrat steht dabei ein Initiativrecht zu. Er kann damit auch von sich aus jederzeit an den Arbeitgeber herantreten und die Regelung des „Wie“ der Arbeitszeiterfassung verlangen. Diese Regelungen kann er dann auch – ggf. mit Hilfe der Einigungsstelle – erzwingen.

Und obwohl nach der viel beachteten Grundsatzentscheidung des BAG und nach einem ersten Regelungsvorschlag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im April 2023 nun klar ist, dass eine gesetzliche Regelung zur Arbeitszeiterfassung kommen wird, können sich die Arbeitgeber dem Initiativrecht des Betriebsrats nicht mit der Begründung entziehen, diese gesetzlichen Regelungen zunächst abwarten zu wollen.