Q&A (7 Fragen, 7 Antworten) – Arbeitsrechtliche Spielregeln zur Europameisterschaft

11.06.2024

Während die Fußball-Bundesliga bereits in der Sommerpause weilt, steht das erste große sportliche Jahreshighlight in den Startlöchern: Am kommenden Freitag, den 14. Juni beginnt bekanntermaßen die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Nur wenig später finden ab dem 27. Juli die Olympischen Sommerspiele in Paris statt. So ist die Vorfreude und Hoffnung auf ein neues „Sommermärchen“ bei vielen sportbegeisterten Beschäftigten groß. Auch wenn Arbeitgeber in aller Regel diese Vorfreude teilen, mögen bisweilen die Interessen von Arbeitgebern und Mitarbeitenden in einer Zeit, in der ein Großereignis auf das nächste folgt, miteinander kollidieren. Einige arbeitsrechtliche Spannungsfelder sollen nachfolgend schlag- bzw. „flutlichtartig“ ausgeleuchtet werden, damit Arbeitgeber auch in dieser sportlich turbulenten Zeit stets den Überblick über die wesentlichen arbeitsrechtlichen Spielregeln behalten.

  1. Dürfen Mitarbeitende während der Arbeitszeit „nebenbei“ EM-Spiele verfolgen?

Die Anstoßzeiten bei der diesjährigen Fußball-EM (15.00 Uhr, 18.00 Uhr und 21.00 Uhr) fallen für nicht wenige Mitarbeitende in ihre Arbeitszeit. Mindestens ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft wird – vor der eigentlichen „Fußball-Prime-Time“ – bereits um 18.00 Uhr angepfiffen (Mi., 19. Juni gegen Ungarn). Spätestens dann werden einige Beschäftigte den verstärkten Wunsch danach verspüren, am Arbeitsplatz das eine oder andere EM-Spiel zumindest „nebenbei“ zu verfolgen – ob im Fernsehen, per Live-Stream, Live-Ticker oder klassisch im Radio. Arbeitsrechtlich kann die Art und Weise der Mediennutzung am Arbeitsplatz durchaus einen Unterschied machen. Sofern zum Verfolgen der Spiele das Internet genutzt wird (Live-Stream, Live-Ticker, ggf. auch Online-Radio), ist zunächst entscheidend, ob im Betrieb die Internetnutzung neben dienstlichen auch zu privaten Zwecken gestattet ist. Falls die private Internetnutzung am Arbeitsplatz vom Arbeitgeber untersagt ist, gilt dies ohne anderslautende Absprache auch während der EM oder Olympia.

Verfolgen Beschäftigte ein Spiel via Live-Stream oder über das lineare Fernsehen, geht damit durch die Bild- und Tonübertragung regelmäßig eine erhöhte Ablenkung einher. Die ordnungsgemäße Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung wird dann bei den meisten Tätigkeitsformen schlicht nicht mehr möglich sein; man denke nur an Mitarbeitende mit Kundenkontakt, Beschäftige im öffentlichen Personennahverkehr oder gar im Gesundheitswesen und Pflegebereich. Aber auch außerhalb dieser sensiblen Bereiche werden Mitarbeitende typischerweise ihre Arbeit aufgrund der audiovisuellen Reize nicht parallel ohne erhebliche Beeinträchtigung verrichten können, sodass das „Multitasking“ aus Fußballschauen und Arbeiten gemeinhin unzulässig ist.

Die Nutzung von Live-Tickern zum Zwecke des Abrufens von Zwischenergebnissen ist demgegenüber regelmäßig – sofern im Betrieb die private Internetnutzung nicht untersagt ist – in angemessenem Maße unbedenklich. Eine überbordende, exzessive Nutzung etwa durch stetiges Aktualisieren des Tickers wird hingegen in vielen Fällen die Arbeitsleistung beeinträchtigen und ist damit grundsätzlich nicht erlaubt.

Nutzen Beschäftigte zum Verfolgen der Spiele das Radio, kann dies gestattet sein, wenn sie die jeweilige Arbeitsleistung ordnungsgemäß – d.h. konzentriert, zügig und sorgfältig – erbringen und andere Beschäftigte dadurch nicht beeinträchtigt werden (vgl. BAG, Beschl. v. 14.01.1986 – 1 ABR 75/83, NZA 1986, 435). Ob diese generell zum Radiohören während der Arbeitszeit ergangene Entscheidung auf eine Audio-Live-Berichterstattung eines Großereignisses übertragbar ist, dürfte zumindest bei Tätigkeiten, die ein dauerhaft hohes Konzentrationsvermögen erfordern, angezweifelt werden. Schließlich beeinträchtigt Radiomusik im Hintergrund die Aufmerksamkeit und Konzentration deutlich weniger als ein anhaltender Live-Kommentar. Ohnehin kommt es auch hier stets auf die Einzelfallumstände an. Tätigkeiten, bei denen regelmäßiger Kundenkontakt besteht, kommen typischerweise weniger in Betracht als rein ausführende gleichförmige Tätigkeiten ohne jeglichen Kundenverkehr. Handelt es sich um ein internetbasiertes Online-Radio, kann zudem bei einer entsprechenden betrieblichen Regelung die untersagte private Internetnutzung der Zulässigkeit entgegenstehen.

Unabhängig davon gilt, dass Beschäftigte keinen Anspruch gegen ihren Arbeitgeber haben, Sportereignisse – seien sie von noch so großer Bedeutung – neben oder bei der Arbeit zu verfolgen. Es handelt sich insoweit um reines Privatvergnügen, das mit den arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten kollidiert. Die Mitarbeitenden können sich hierbei in aller Regel auch nicht auf eine betriebliche Übung stützen.

  1. Welche arbeitsrechtlichen Sanktionen können Arbeitgeber bei arbeitnehmerseitigem Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem Verfolgen von EM-Spielen verhängen?

Verletzen Beschäftigte dadurch, dass sie ein Sportereignis während der Arbeitszeit verfolgen, ihre Pflicht zur Erbringung der vertragsgemäßen Arbeit oder verstoßen sie gegen betriebliche Regelungen zur privaten Internetnutzung, können Arbeitgeber hierauf mit einer Abmahnung und im Falle einer Wiederholung mit einer verhaltensbedingten Kündigung reagieren.

Eine außerordentliche fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung wird im Regelfall jedoch unzulässig sein. So hat etwa das Arbeitsgericht Frankfurt die fristlose Kündigung gegenüber einem Verkäufer, der während der Arbeitszeit ein WM-Spiel im Verkaufsraum verfolgte, für nicht gerechtfertigt eingestuft, weil der Fußball gerade während eines Großturniers einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert einnehme und das Verhalten des Verkäufers somit „sozial adäquat“ sei (ArbG Frankfurt a.M., Urt. v. 9.2.2011 – 7 CA 4868/10, n.v.). Der Arbeitgeber hätte zunächst eine Abmahnung erteilen müssen, bevor er zur „roten Karte“, der Kündigung, greift. Eine „gelb-“ bzw. abmahnungswürdige Pflichtverletzung kann dabei aber sogar schon dann vorliegen, wenn Beschäftigte während ihrer Arbeitszeit nur für wenige Sekunden ein Fußballspiel über einen Live-Stream anschauen (ArbG Köln, Urt. v. 28.8.2017 – 20 Ca 7940/16, NZA-RR 2018, 18). Denn während der Arbeitszeit gilt, dass die Mitarbeitenden ihre gesamte Arbeitskraft zur Verfügung stellen müssen.

  1. Welche Regeln gelten für Urlaubsanträge während der EM?

Grundsätzlich können Mitarbeitende auch während der Zeit sportlicher Großereignisse Erholungsurlaub beantragen. Arbeitgeber können die Urlaubsgewährung aber verweigern, wenn dringende betriebliche Belange der Urlaubsnahme entgegenstehen. Beantragen etwa für das am 19. Juni bereits um 18.00 Uhr stattfindende zweite Gruppenspiel von Deutschland gegen Ungarn mehrere Beschäftigte eines Betriebs parallel Urlaub, so können Arbeitgeber zur Vermeidung einer Unterbesetzung und personeller Engpässe oder bei akutem Arbeitsanfall die Gewährung des Urlaubs im Einzelfall ablehnen.

Auch kurzfristig eingereichte einzelne Urlaubsanträge – etwa für die erst kurz vorher feststehenden K.o.-Spiele ab dem Achtelfinale – sollten Arbeitgeber grundsätzlich bewilligen, es sei denn die Aufrechterhaltung des störungsfreien Betriebsablaufs steht beispielsweise infolge krankheitsbedingter Ausfälle auf der Kippe. Drohen Mitarbeitende ihre Arbeitsunfähigkeit für den Fall an, dass ihnen kein Urlaub gewährt wird, können Arbeitgeber direkt zum Ausspruch einer außerordentlich fristlosen Kündigung berechtigt sein.

Immer häufiger kommt es vor, dass Beschäftigte etwa anlässlich eines Spiels lediglich einen halben Urlaubstag beantragen. Arbeitgeber sind rechtlich nicht dazu gehalten, diesem Wunsch zu entsprechen. Das Urlaubsrecht sieht halbe Urlaubstage nicht vor. Von der Gewährung halber Urlaubstage ist auch abzuraten. Denn Arbeitgeber setzen sich insoweit dem Risiko aus, dass die Mitarbeitenden mangels wirksamer Erfüllung des Urlaubsanspruchs ihren vollen gesetzlichen Urlaubsanspruch behalten. Das Bundesarbeitsgericht versteht die Arbeitsbefreiung für halbe Tage oder einige Stunden nicht als Urlaubsgewährung.

  1. Was müssen Arbeitgeber bei der Organisation von betriebsinternen Tippspielen beachten?

Im Kontext der Fußball-Europameisterschaft erfreuen sich Tippspiele großer Beliebtheit. Unter Einhaltung einiger rechtlicher Vorgaben sind auch betriebsinterne Tippspiele grundsätzlich zulässig. Die Veranstalter des Tippspiels sollten zunächst darauf achten, dass der sportliche Wettstreit und nicht die Gewinnerzielung im Vordergrund des jeweiligen Tippspiels steht. Daher sollten insbesondere die ausgelobten Gewinnpreise nicht zu wertvoll sein und den Organisatoren des Tippspiels keine Gewinnbeteiligung für die Verwaltung der Spieleinsätze eingeräumt werden. Das Tippspiel sollte zudem ausschließlich für die eigenen Mitarbeitenden bestimmt sein und aus Gründen des Jugendschutzes eine Teilnahmeberechtigung ausschließlich für volljährige Beschäftigte vorsehen.

Sofern eine kleinere Gruppe von Mitarbeitenden ein Tippspiel privat organisiert, ist auch dies grundsätzlich zulässig. Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass es sich bei einem Tippspiel unter Mitarbeitenden um eine reine Freizeitbeschäftigung handelt, die grundsätzlich nicht während der Arbeitszeit durchgeführt werden darf. Hat der Arbeitgeber seine Zustimmung nicht erteilt, ist die Tippabgabe während der Arbeitszeit nicht erlaubt. Während der Mittagspause oder außerhalb der Arbeitszeiten ist das Mitspielen aus arbeitsrechtlicher Sicht hingegen unkritisch.

Ist in dem Unternehmen ein Betriebsrat gebildet, sind schließlich dessen Mitbestimmungsrechte bei der Organisation und Durchführung des Tippspiels zu beachten und zu wahren. Dies gilt insbesondere in Bezug auf datenschutzrechtliche Fragestellungen und umso mehr, wenn für das Tippspiel Datenverarbeitungssysteme genutzt werden, mit denen das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeitenden erfasst bzw. überwacht werden können.

  1. Ist die Organisation eines Public Viewings im Büro arbeitsrechtlich zulässig?

Nach den obenstehenden Darstellungen haben Mitarbeitende im Grundsatz auch für die Dauer von EM-Spielen ihre Arbeitsleistung im geschuldeten Umfang zu erbringen sowie ihre Arbeit ordnungsgemäß und bestmöglich zu verrichten. Ein Verfolgen der EM-Spiele ist jedenfalls nur in engen Grenzen möglich; diese gelten auch, wenn sich Beschäftigte dazu verabreden, ein EM-Spiel während der Arbeitszeit gemeinsam anzuschauen.

Anders kann es sein, wenn Arbeitgeber den eigenen Mitarbeitenden das gemeinsame Anschauen eines Fußballspiels („Public Viewing“) während der Arbeitszeit ausdrücklich gestatten. Dann ist es den Beschäftigten unbenommen, ihre Arbeit während der Übertragung des Fußballspiels ruhen zu lassen. Zu diesem Zweck sollte bereits im Vorfeld eindeutig geregelt werden, ob und in welchem Umfang das Verfolgen von Live-Übertragungen bei der Arbeit erlaubt sein sowie ob diese Zeit als Arbeitszeit gewertet werden soll. Soweit ein Betriebsrat im Betrieb gebildet wurde, sind die vorstehenden Fragen unter Berücksichtigung der kollektiven Mitbestimmungsrechte zu regeln.

Daneben gilt es, klare Vorgaben für das Rahmenprogramm eines „Public Viewing“ zu definieren – dies gilt insbesondere in Bezug auf den Konsum alkoholhaltiger Getränke. So steht es Arbeitgebern selbstverständlich frei, ein Alkoholverbot am Arbeitsplatz auszusprechen. Selbst wenn die betrieblichen Vorgaben den Konsum von Alkohol zulassen, sind Mitarbeitende gleichwohl dazu verpflichtet, ihre Leistungsfähigkeit und Sicherheit am Arbeitsplatz nicht durch übermäßigen Alkoholkonsum zu beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere, wenn die Beschäftigten ihre Arbeitsleistung nach dem Abpfiff des Fußballspiels wieder aufzunehmen haben. Hat der Arbeitgeber Anzeichen für alkoholbedingte Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit, sollte er diese aus Beweiszwecken klar dokumentieren. Alkoholkontrollen kann er ohne eine wirksame Einwilligung der betroffenen Mitarbeitenden jedoch nicht durchführen.

  1. Ist das Tragen und Drapieren von Fanutensilien am Arbeitsplatz aus arbeitsrechtlicher Sicht zulässig?

Soweit im Arbeitsvertrag oder auf kollektivrechtlicher Ebene keine entgegenstehenden Regelungen existieren, ist es Mitarbeitenden grundsätzlich unbenommen, ihre Fan-Zugehörigkeit auch während der Arbeitszeit zu zeigen. Dasselbe gilt für die Gestaltung des eigenen Arbeitsplatzes. Aus arbeitsrechtlicher Sicht kann es also zulässig sein, dass Beschäftigte während der Arbeitszeit ein Trikot tragen oder Fanutensilien ihres Lieblingslandes auf dem eigenen Schreibtisch platzieren. Hierbei haben die Mitarbeitenden jedoch stets darauf zu achten, dass das Tragen von Fanutensilien den Unternehmens-Richtlinien nicht widerspricht und den Betriebsfrieden, den Arbeitsablauf im Betrieb oder die Beziehung zu Kunden nicht stört. Je nach Unternehmen, Branche und Art der Tätigkeit kann es daher Beschäftigten untersagt sein, Fanutensilien während der Arbeitszeit zu tragen oder den Arbeitsplatz mit diesen auszuschmücken. Wiedersetzen sich Mitarbeitende der Untersagung und tragen gleichwohl Fanutensilien, kann dies arbeitsrechtliche Konsequenzen zur Folge haben. Daher sollten Arbeitgeber das „Ob“ und ggf. auch den Umfang des Verwendens von Fanutensilien am Arbeitsplatz im Vorhinein mit den Beschäftigten absprechen.

  1. Welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats müssen gewahrt werden?

Soweit in einem Betrieb ein Betriebsrat gebildet wurde, sind vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen auch zahlreichen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu beachten.

Die Fragen der Nutzung von Radio- oder Fernsehgeräten sowie der Internetnutzung und des Konsums von Alkohol eröffnen den Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Gegenstand dieses Mitbestimmungsrechtes sind die Fragen der Ordnung des Betriebs.

Weitere Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates können sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG sowie aus § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG ergeben. Danach ist der Betriebsrat bei der Lage der Arbeitszeit sowie den Regelungen betreffend den Urlaub zu beteiligen.

Schließlich ist bei der Nutzung von IT-Geräten regelmäßig der Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eröffnet. Dies gilt insbesondere, soweit diese für die Nutzung des Internets vorgesehen sind.

Fazit:

Auch wenn sich das Land – beseelt von „König Fußball“ – im freudigen Ausnahmezustand befindet, gelten die arbeitsvertraglichen Pflichten solange nüchtern und unverändert fort, wie Arbeitgeber nicht ausdrücklich Ausnahmen gestatten. Arbeitgebern ist zu raten, bereits im Vorfeld der EM offen mit der Belegschaft über die gegenseitigen Rechte und Pflichten zu sprechen, um in präventiver Hinsicht frühzeitig arbeitsrechtliche „Fouls“ von Mitarbeitenden zu vermeiden. Je nach betrieblicher Umsetzbarkeit kann es sich etwa anbieten, die Arbeitszeiten in Absprache mit den Beschäftigten flexibel zu handhaben oder Verschiebungen zu ermöglichen. Kommt es dennoch zu Konflikten und Pflichtverstößen durch Mitarbeitende, gilt es, zügig zu handeln und die Möglichkeiten arbeitsrechtlicher Disziplinarmaßnahmen – wie etwa Abmahnungen oder gar Kündigungen – zu prüfen.