Telefonische Krankschreibung soll ab Herbst dauerhaft möglich sein

03.07.2023

Während der Corona-Pandemie hatten Arbeitnehmer:innen aufgrund einer Sonderregelung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (dort: § 8 Abs. 1) die Option, Krankschreibungen per Telefon zu erhalten. Nach dieser Sonderregelung konnte die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit infolge einer Erkrankung der oberen Atemwege ohne schwere Symptomatik für bis zu sieben Tage telefonisch erfolgen sowie einmalig (ebenfalls telefonisch) für weitere sieben Tage verlängert werden. Die Sonderregelung hat sich während der Pandemie bewährt, um Arztpraxen zu entlasten und Infektionsgefahren, z.B. in überfüllten Wartezimmern, zu reduzieren. Nichtsdestoweniger wurde diese zwar mehrfach verlängert, lief aber zuletzt zum 1. April 2023 aus.

Dauerhafte Etablierung der telefonischen Krankschreibung

Die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung soll nunmehr ab Herbst dieses Jahres dauerhaft etabliert werden. Der Bundestag hat am 23. Juni 2023 eine Regelung zur telefonischen Krankschreibung verabschiedet. Danach wird der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) beauftragt, telefonische Krankschreibungen zu erlauben. Die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit darf allerdings nur bei Erkrankungen erfolgen, die keine schwere Symptomatik vorweisen, sowie ausschließlich bezogen auf in der jeweiligen ärztlichen Praxis bekannte Patient:innen. Eine Beschränkung auf Atemwegserkrankungen ist nicht mehr vorgesehen. Es ist jedoch zu erwarten, dass die telefonische Krankschreibung auf Diagnosen beschränkt sein wird, die sich per Telefon feststellen lassen. Der GBA soll dafür innerhalb der nächsten sechs Monate entsprechende Richtlinien ausarbeiten, welche dann verbindlich und unbefristet gelten werden.

Krankschreibung per Video-Sprechstunde

Bereits dauerhaft etabliert sind die rechtlichen Vorgaben für Video-Sprechstunden. Seit Oktober 2020 kann die Arbeitsunfähigkeit auch im Rahmen einer Videosprechstunde festgestellt werden. Diese Regelung gilt dauerhaft und ist keine Sonderregelung der Corona-Pandemie. Auch hier gelten jedoch ähnliche Einschränkungen: Entsprechende Videobefunde sind wiederum nur für Bestandspatient:innen zulässig. Außerdem muss es sich um eine Erkrankung handeln, die sich mittels Ferndiagnose feststellen lässt. Dies wird in der Praxis beispielsweise für Erkältungen, Magen-Darm-Infekte oder Migräne angenommen.

Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen

Aus Arbeitgebersicht bestehen bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit hohe Hürden. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist hoch und lässt sich nur bei konkreten Anhaltspunkten für das Fehlen der Arbeitsunfähigkeit erschüttern, z.B. bei durch den Arbeitnehmer angekündigte Erkrankungen oder „passgenaue“ Erkrankungen bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nach Kündigung. Selbst wenn es jedoch gelingt den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit zu erschüttern, und der Arbeitnehmer entbindet den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht, ist es am Arbeitgeber, durch Vernehmung des Arztes als Zeugen zu beweisen, dass die Diagnose fehlerhaft war. In der gerichtlichen Praxis ist das eine massive Herausforderung für den Arbeitgeber, da Ärzte i.d.R. nicht freimütig angeben, eine Falschdiagnose aufgestellt zu haben. Der Arbeitgeber ist daher darauf verwiesen durch Zeugenvernehmung zu zeigen, dass der Arzt bei der Feststellung der Diagnose nicht die gebotene Sorgfalt hat walten lassen, z.B. gebotene Untersuchungen nicht veranlasst hat oder die Diagnose keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtfertigt. Gelingt das nicht, bleibt der Arbeitgeber beweisfällig.

Bei einer Ferndiagnose wird diese Herausforderung für den Arbeitgeber nochmals steigen. Der Arbeitgeber kann allein aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erkennen, auf welche Art die Diagnose zustande kam. Lediglich aus Begleitumständen, z.B. räumliche Distanz zwischen dem Wohnort des Arbeitnehmers und den behandelnden Ärzten, könnten sich Anhaltspunkte für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit per Ferndiagnose ergeben. Zugleich sind auch die diagnostischen Mittel der behandelnden Ärzte bei einer telefonischen Ferndiagnose naturgemäß deutlich eingeschränkt. Letztlich müssen die Ärzte allein auf Grundlage der Stimme der Patient:innen und ggf. deren Krankheitsgeschichte beurteilen, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder eben nicht. Im Falle einer Vernehmung als Zeuge werden sich die Ärzte entsprechend auch nur hierzu äußern können. Für den Arbeitgeber bleiben daher bei einer Vernehmung des Arztes kaum Optionen, um die Ferndiagnose in Zweifel zu ziehen.

Ob aus diesen Gründen allerdings von einem geringeren Beweiswert solcher Telefon-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgegangen werden kann, ist jedoch unklar. Dagegen spricht, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Telefon, ebenso wie im Rahmen der Videosprechstunde, zukünftig gesetzlich legitimiert sein wird. Wegen der beschränkten ärztlichen Feststellungsmöglichkeiten werden in der Praxis jedoch Stimmen laut, die niedrigere Anforderungen an die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitgeber stellen. Hier gilt es erste gerichtliche Entscheidungen abzuwarten. Zunächst wird es daher dabei bleiben, dass es dem Arbeitgeber obliegt, Umstände aufzuzeigen, die zur Erschütterung des Beweiswertes führen können, z.B. regelmäßige und ausschließliche telefonische Krankschreibungen bei unterschiedlichen Ärzten, und sodann mit dem jeweiligen Arzt als Zeugen den Beweis zu führen, dass die gestellte Ferndiagnose tatsächlich fehlerhaft war.