Verfall und Verjährung von Urlaubs(abgeltungs)ansprüchen

27.04.2023

Wie kaum ein anderes Themengebiet ist das Urlaubsrecht geprägt von europäischer Rechtsprechung. Bereits in der Vergangenheit hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) aufsehenerregende Entscheidungen zum Urlaubsrecht getroffen und bislang im deutschen Arbeitsrecht tief verankerte Grundsätze verworfen. So auch kürzlich: Das Bundearbeitsgericht (BAG) hat im Anschluss an Urteile des EuGH im Dezember 2022 (Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 245/19; Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 266/20) und Januar 2023 (Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 456/20) in unionsrechtskonformer Auslegung das nationale Urlaubsrecht weiterentwickelt.

Mitwirkungsobliegenheiten der Unternehmen

In den Mittelpunkt der Entscheidungen sind einmal mehr die Mitwirkungsobliegenheiten von Unternehmen gerückt. Bereits in einer vielbeachteten Entscheidung aus 2018 hat das BAG klargestellt, dass Unternehmen verpflichtet sind, ihre Beschäftigten durch die Erfüllung ihrer Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage zu versetzen, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Unternehmen müssen dafür über bestehende Urlaubsansprüche und deren Verfall informieren. Kommen Unternehmen dieser Obliegenheit nicht nach, erlöschen Urlaubsansprüche weder am Ende eines Kalenderjahres noch in einem zulässigen Übertragungszeitraum.

Diese Folgen der Verletzung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit hat das BAG nunmehr ausgedehnt:

(Kein) Verfall von Urlaubsansprüchen

Die Verletzung der arbeitgeberseitigen Obliegenheit hat Auswirkungen auf den Verfall von Urlaubsansprüchen. Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG gingen gesetzliche Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres unter („15-Monats-Frist“). Nach der jüngsten Rechtsprechung des BAG gilt dieser Grundsatz jedoch nur, wenn das Unternehmen seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Anders beurteilt das BAG dies nur, wenn Arbeitnehmer:innen seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten (auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres) aus gesundheitlichen Gründen gehindert waren, ihren Urlaub anzutreten. In diesem Fall spielen die Mitwirkungsobliegenheiten keine Rolle, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können. Diese Differenzierung sollten Unternehmen künftig im Blick haben, um ihren Hinweis- und Aufforderungspflichten möglichst frühzeitig nachzukommen. Diesen Pflichten sollten Unternehmen auch bei langzeiterkrankten Arbeitnehmer:innen nachkommen.

Verjährung von Urlaubs(abgeltungs)ansprüchen

Auch auf die Verjährung von Urlaubsansprüchen haben die arbeitgeberseitigen Mitwirkungsobliegenheiten Einfluss. Nach einer Grundsatzentscheidung des BAG verstößt die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist von Urlaubsansprüchen gegen Unionsrecht. Urlaubsansprüche können nach Ansicht des BAG nur dann verjähren, wenn das Unternehmen zuvor seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist und die Arbeitnehmer:innen damit in die Lage versetzt hat, ihren Urlaub tatsächlich zu nehmen. In richtlinienkonformer Auslegung beginnt die dreijährige Verjährungsfrist damit erst am Ende des Kalenderjahres, in welchem das Unternehmen die Arbeitnehmer:innen über den konkreten Urlaubsanspruch und dessen Verfallsfristen informiert hat.

Diese Ansicht überträgt das BAG nicht auf Urlaubsabgeltungsansprüche. Ansprüche auf Urlaubsabgeltung entstehen, wenn Arbeitnehmer:innen ihren Urlaub wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr nehmen können. Der noch offene Urlaubsanspruch wird dann in Geld abgegolten. Für diese Ansprüche bleibt es dabei, dass die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Ende des Jahres beginnt, in dem das Arbeitsverhältnis geendet hat. Zudem unterliegt der Urlaubsabgeltungsanspruch arbeits- oder tarifvertraglichen Ausschlussfristen. Als reiner Geldanspruch kann der Abgeltungsanspruch damit auch wenige Monate nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – bei wirksamer Ausschlussfrist – verfallen.

Ergebnis und Ausblick

Die jüngsten Entscheidungen verdeutlichen den Stellenwert der arbeitgeberseitigen Mitwirkungsobliegenheit im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen. Ihre Verletzung hat weitreichende, kostenintensive Folgen für Unternehmen. Unternehmen und ihre HR-Abteilungen sind daher gut beraten, die Mitwirkungsobliegenheit bestenfalls frühzeitig und standardisiert (z.B. durch Rundmails zu bestimmen Stichtagen) umzusetzen. Dafür sollten die Arbeitnehmer:innen über ihren konkreten Urlaubsanspruch informiert werden und aufgefordert werden, ihren Urlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er im laufenden Kalenderjahr genommen werden kann. Im Übrigen sollten die Arbeitnehmer:innen über die Folgen der nicht rechtzeitigen Inanspruchnahme des Urlaubs informiert werden.