Abschlussbericht der Expertenkommission: „Bürokratiearme“ Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie?

14.11.2025

Die europäische Entgelttransparenzrichtlinie (RL (EU) 2023/970 – ETRL) soll die praktische Durchsetzung der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern fördern. Bis zum 7. Juni 2026 ist die ETRL in deutsches Recht umzusetzen. Das zuständige Ministerium hat eine Kommission zur „bürokratiearmen“ Umsetzung der Richtlinie in Deutschland eingesetzt. Der am 7. November 2025 an Ministerin Karin Prien übergebene Abschlussbericht gibt Impulse zu wichtigen Rechtsfragen, die sich für Unternehmen in der Praxis stellen.

  1. Berichtspflichten

Ein Hauptbestandteil der ETRL ist eine umfassende Berichtspflicht für Arbeitgeber mit mehr als 100 Mitarbeitenden, die über die bisherigen Pflichten nach dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) weit hinausgeht. Erforderlich sind umfangreiche statistische Angaben über die Entgeltdifferenz zwischen Frauen und Männern im Unternehmen.

Aus Sicht der Kommission ist eine Präzisierung des Entgeltbegriffs notwendig. Unter anderem spricht sich die Kommission mehrheitlich dafür aus, für die Berichtspflichten das Ist-Entgelt und nicht das Ziel-Entgelt zu Grunde zu legen. Für die Berechnung des Bruttostundenentgeltes soll die vertraglich vereinbarte und nicht die tatsächlich erbrachte Arbeitszeit relevant sein. Soweit sich der Bericht auf das Bruttojahresentgelt bezieht, legt die Kommission eine Dokumentation auf Basis von Vollzeitäquivalenten nahe. Das würde Klarheit für die Bereitstellung der erforderlichen Kennzahlen für die Berichtspflicht schaffen.

Mit Blick auf ergänzende oder variable Entgeltbestandteile empfiehlt die Kommission eine Öffnungsklausel: Unternehmen sollen selbst entscheiden dürfen, ob sie diese Entgeltbestandteile als Summe oder einzeln darstellen und berichten wollen.

Weiter diskutierte die Kommission eine Einschränkung der zu berichtenden Entgeltbestandteile, etwa über eine Bagatellgrenze, eine Eingrenzung auf eindeutig ablesbare und nachvollziehbare Vergütungsbestandteile, den Ausschluss von Entgeltbestandteilen, denen keine Arbeitsleistung im Berichtszeitraum gegenübersteht (z.B. Abfindungen) oder einen Ausschluss von freiwilligen Wahlleistungen und Leistungen, die nicht vom Vertragsarbeitgeber gewährt werden (z.B. Aktienoptionen, Phantom Stocks).

Die Kommissionsmitglieder sind sich einig, dass multinationale Unternehmen berechtigt sein sollten, in ihren Berichten nach Beschäftigungsstaaten getrennt zu berichten. Eine Möglichkeit der zentralen Berichtspflichterfüllung durch Muttergesellschaften in Konzernen wurde in der Kommission diskutiert, konnte aber nicht entschieden werden.

  1. Arbeitsbewertung

Entgeltstrukturen sind nach der ETRL so zu gestalten, dass anhand objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien beurteilt werden kann, ob sich Mitarbeitende im Hinblick auf den Wert ihrer Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden. Die Kommission ist der Meinung, dass diese Kriterien der Arbeitsbewertung gesetzlich nicht abweichend von der ETRL festgelegt werden können (Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung, Arbeitsbedingungen). Wünschenswert sei aber eine Definition der Kriterien, damit insbesondere KMU aussagekräftige und rechtssichere Gruppen definieren können.

  1. Tarifprivilegien

Tariflichen Entgeltsystemen wird derzeit die Vermutung beigemessen, dass objektive Differenzierungsgründe zur Anwendung kommen und den Vorgaben des EntgTranspG entsprochen wird (Angemessenheitsvermutung). Außerdem können sich tarifgebundene und tarifanwendende Arbeitgeber im Rahmen des EntgTranspG darauf berufen, dass Tätigkeiten unterschiedlicher tariflicher Entgeltgruppen nicht gleichwertig sind. Die Vergleichsgruppenbildung folgt den Entgeltgruppen. Die ETRL kennt solche Tarifprivilegien dagegen nicht.

Die Kommission spricht sich dennoch für die Beibehaltung einer Angemessenheitsvermutung für tarifliche Regelungen aus, konnte aber über die Reichweite dieser Privilegierung kein Einvernehmen erzielen. Jedenfalls wird die Einführung von Erleichterungen in Form eines Stufenmodells bei Beantwortung des Auskunftsanspruchs mehrheitlich befürwortet. Die Auskunft soll sich auf die Tarifgruppe des Auskunftssuchenden beschränken. Eine Korrektur der Vergleichsgruppe soll nur erforderlich sein, wenn die auskunftsersuchende Person nachweist, dass die tarifliche Gruppenbildung nicht der ETRL entspricht. Tarifgebundenen und tarifanwendenden Arbeitgebern könnte eine längere Frist zur Beantwortung des Auskunftsbegehrens und zur Beantwortung von Nachfragen beim Entgelttransparenzbericht oder im Rahmen der Abhilfe gewährt werden.

Deutlich wird aber, dass Tarifverträge an den Kriterien der ETRL zu messen sind und keinen „automatischen“ Schutz bieten. Auch tarifgebundene und tarifanwendende Arbeitgeber müssen voraussichtlich nachweisen, dass die Entgeltbewertung auf geschlechtsneutralen und objektiven Kriterien im Sinne der ETRL beruht.

  1. Gemeinsame Entgeltbewertung und Abhilfeverfahren

Die Kommission belässt es im Rahmen der gemeinsamen Entgeltbewertung bei der Aufforderung an den Gesetzgeber, im neuen EntgTranspG klare, einfache Prozesse und Zuständigkeiten zu normieren und die ETRL im Wesentlichen wörtlich zu übernehmen. Ausführlicher beschäftigt sie sich mit dem Abhilfeverfahren. Mitarbeitende, Arbeitnehmervertreter, Arbeitsaufsichtsbehörden und Gleichbehandlungsstellen haben das Recht, von Arbeitgebern zusätzliche Klarstellungen und Einzelheiten zu allen bereitgestellten Entgeltdaten zu verlangen. Arbeitgeber übermitteln auf entsprechende Anfrage eine begründete Antwort. Sind geschlechtsspezifische Entgeltunterschiede nicht gerechtfertigt, haben Arbeitgeber in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern, der Arbeitsaufsichtsbehörde und/oder der Gleichbehandlungsstelle Abhilfe zu schaffen.

Die Kommission steht auf dem Standpunkt, dass das Gebot der „engen Zusammenarbeit“ kein echtes Mitbestimmungsrecht im Sinne des deutschen Betriebsverfassungsrechts verlangt. Die Kommissionsmitglieder sehen zumindest überwiegend die Gewerkschaften nicht als „Arbeitnehmervertretung” im Sinne der ETRL an, sodass es nicht notwendig sei, sie bei der Abhilfe zu beteiligen. In betriebsratslosen Betrieben zwingt die ETRL nach Auffassung der Kommission nicht dazu, Betriebsräte zu etablieren, wo sie bislang nicht existieren. Uneinigkeit bestand nach dem Abschlussbericht darüber, was unter der „angemessenen Frist“ für die Abhilfe zu verstehen ist. Eine mögliche Lösung soll ein zweistufiges Verfahren darstellen, in dem der Gesetzgeber nur die Frist für ein Erstgespräch festlegt und die Beteiligten sich im Übrigen einen eigenen „Fahrplan“ geben, sollte dies erforderlich sein.

  1. Auskunftsanspruch

Die ETRL gewährt Mitarbeitenden das Recht, Auskünfte über ihre individuelle Entgelthöhe und über die durchschnittlichen Entgelthöhen zu verlangen und in schriftlicher Form zu erhalten, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Gruppen von Mitarbeitenden, die gleiche Arbeit wie sie oder gleichwertige Arbeit verrichten.

Die Kommission votiert dafür, dass die Auskunft eine nachvollziehbare Erläuterung der Vergleichsgruppenbildung enthalten soll, um Nachfragen zu minimieren. Die in der ETRL vorgesehene Heranziehung von fiktiven oder hypothetischen Vergleichspersonen oder Mitarbeitenden, die das Unternehmen bereits verlassen haben, wird dagegen abgelehnt. Aus Gründen des Datenschutzes soll – wie bisher im EntgTranspG – eine Mindestgröße für Vergleichsgruppen vorgesehen werden. Die Kommission spricht sich außerdem dafür aus, die Auskunft nur auf das im Vorjahreszeitraum gezahlte Bruttogesamtentgelt zu erstrecken. Eine Aufschlüsselung in die einzelnen Entgeltbestandteile soll nicht notwendig sein.

In zeitlicher Hinsicht sieht die Kommission es als sachgerecht an, dass Arbeitnehmer einmal im Jahr Auskunft über das vorangegangene Jahr beanspruchen können.

Die Vergleichsgruppenbildung erfolgt bei individuellen Auskunftsansprüchen nach dem EntgTranspG bisher betriebsbezogen. Mitarbeitende mit unterschiedlichen Arbeitgebern sollen nicht untereinander vergleichbar sein. Nach der ETRL ist die Bewertung von gleicher und gleichwertiger Arbeit nicht auf die Mitarbeitenden des jeweiligen Arbeitgebers begrenzt, wenn die angewendeten Entgeltbedingungen aus einer „einheitlichen Quelle“ stammen. Sofern etwa eine Konzernmuttergesellschaft einheitliche Entgeltvorgaben festlegt, sollen Mitarbeitende der erfassten Konzernunternehmen untereinander vergleichbar sein. Gleiches gilt z.B. bei der Anwendung eines einheitlichen Tarifvertrages oder anderer kollektivrechtlicher Regelungen. Im Zusammenhang mit dem Auskunftsanspruch sieht die Mehrheit der Kommission den Begriff der einheitlichen Quelle dennoch als irrelevant an.

  1. Digitalisierung

Potentiale der Digitalisierung werden bei automatisierten und standardisierten Auswertungen zur Ermittlung des Entgeltgefälles, bei der Einrichtung digitaler Portale für individuelle Auskünfte, bei der automatisierten Auskunftsbeantwortung, der Installation von Frühwarnsystemen zur Erkennung von Entgeltlücken, der Unterstützung bei der Bildung von Vergleichsgruppen und der Standardisierung digitaler Vorlagen zur Erfüllung der Berichtspflicht gesehen. Die Bundesregierung könnte Unternehmen entlasten, indem sie Analyseinstrumente und Tools zur Verfügung stellt.

Die Kommission ist der Meinung, dass Arbeitgeber die Informationen im Rahmen der Berichtspflicht und die Auskunft lediglich in Textform bereitstellen bzw. erteilen müssen.

Um den Aufwand für die Berichtspflicht zu reduzieren, empfiehlt die Kommission eine Anbindung an bereits existierende, von der Wirtschaft genutzte Infrastrukturen (z.B. ELSTER-Verfahren). Für die Dateneingabe und -übermittlung soll der Gesetzgeber ein benutzerfreundliches Online-Portal einrichten, das durch den Prozess führt und Plausibilitätsprüfungen vornimmt.

Fazit

Die Vorschläge der Kommission sind rechtlich nicht bindend, ermöglichen aber hilfreiche Einordnungen für das weitere Gesetzgebungsverfahren.

Der Ansatz einer bürokratiearmen Umsetzung der ETRL ist richtig. Die Kommission gibt darüber hinaus begrüßenswerte Empfehlungen, beispielsweise die in der Praxis geforderte Konkretisierung des Entgeltbegriffs oder die Aufnahme eines Katalogs von Rechtfertigungsgründen für Ungleichbehandlungen in das neue Gesetz.

Daneben lassen sich im Abschlussbericht pragmatische Ansätze finden, etwa die Möglichkeit, mit einem Entgelttransparenzbericht, der ein Entgeltgefälle von weniger als 5 % ausweist, den Anschein einer geschlechter-spezifischen Entgeltdiskriminierung zu widerlegen, oder die Möglichkeit für Arbeitgeber, Entgelt zur Herstellung von Entgeltgleichheit zu reduzieren. Es bleibt abzuwarten, ob solche Vorschläge Eingang in das Umsetzungsgesetz finden. Die Tatsache, dass die Kommission in vielen Fragen keine Einstimmigkeit erzielt und kontrovers diskutiert hat, zeigt die Vielschichtigkeit des Themas.

Ein erster Entwurf des Gesetzgebers ist für Januar 2026 geplant. Eine schnelle Klärung der Praxisfragen ist zu hoffen, denn Arbeitgeber benötigen Rechtssicherheit für die neuen Pflichten und Prozesse.

Unternehmen ist zu raten, bereits jetzt Vorbereitungen zu treffen und nicht das Gesetzgebungsverfahren abzuwarten. Die ETRL ist sehr konkret gefasst, erlaubt entsprechende Rückschlüsse und lässt dem Gesetzgeber an vielen Punkten wenig Spielraum bei der Umsetzung.