Annahmeverzugslohn und die Anrechnung von böswillig unterlassenem Erwerb

16.07.2024

Im Rahmen langwieriger Kündigungsschutzprozesse stellt der Annahmeverzugslohn ein beachtliches finanzielles Risiko für Unternehmen dar. Stellt ein arbeitsgerichtliches Urteil fest, dass eine Kündigung unwirksam war, können Beschäftigte von Unternehmen diejenige Vergütung verlangen, die bei Fortführung des Arbeitsverhältnisses zu zahlen gewesen wäre (Annahmeverzugslohn). Allerdings müssen sich Beschäftigte anderweitigen Verdienst – etwa das Gehalt aus einem nach der Kündigung neu eingegangenen Arbeitsverhältnis – anrechnen lassen. Zudem müssen sie sich böswillig unterlassenen Erwerb anrechnen lassen, also denjenigen Verdienst, den Beschäftigte hätten verdienen können, wenn sie es nicht böswillig unterlassen hätte, eine andere zumutbare Arbeit zu suchen und anzunehmen. In den letzten Jahren und zuletzt im Februar 2024 hat die Rechtsprechung wichtige Maßgaben für eine solche Anrechnung von böswillig unterlassenem Erwerb aufgestellt.

Auskunftsanspruch von Unternehmen

Eine erste wichtige Entscheidung zur Anrechnung von böswillig unterlassenem Erwerb traf das BAG im Jahr 2020: Hintergrund der Entscheidung war der Umstand, dass Unternehmen die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen, dass Beschäftigte zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeiten nicht nachgegangen sind und damit Erwerb böswillig unterlassen haben. In der Regel sind Arbeitgeber aber im Ungewissen darüber, welche Beschäftigungsangebote Arbeitnehmern oder Arbeitnehmerinnen vorlagen. Dies gilt auch für Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters. In seinem Urteil entschied das BAG daher, dass dem Arbeitgeber ein Auskunftsanspruch über solche Vermittlungsvorschläge zusteht. Danach kann der Arbeitgeber die Nennung der angebotenen Tätigkeit sowie von Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung verlangen. Nur so können Unternehmen prüfen, ob zumutbare Vermittlungsvorschläge vorlagen und ein böswilliges Unterlassen begründet ist (BAG, Urt. v. 27.05.2020 – 5 AZR 387/19).

Erwerbsbemühungen von Beschäftigten

Einen konkreten Rahmen für den erforderlichen Umfang der Erwerbsbemühungen von Beschäftigten legte das BAG in seiner Entscheidung aus 2020 jedoch nicht fest. Es verwies lediglich darauf, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gemäß § 38 Abs. 1 und § 2 Abs. 5 SGB III dazu verpflichtet sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden und aktiv bei der Vermeidung oder Beendigung der Arbeitslosigkeit mitzuarbeiten. Zwar handelt es sich dabei um rein sozialversicherungsrechtliche Obliegenheiten, allerdings kann Beschäftigten arbeitsrechtlich das zugemutet werden, was ihnen das Gesetz ohnehin abverlangt. Daher ist bei der Prüfung von böswilligem Unterlassen zunächst zu berücksichtigen, ob Beschäftigte ihren sozialrechtlichen Meldeobliegenheiten nachgekommen sind.

Darüber hinaus hat die landesarbeitsgerichtliche Rechtsprechung Ansätze für weitere Kriterien aufgestellt, die bei der Beurteilung, ob ein böswilliges Unterlassen vorliegt, zu berücksichtigen sein können. So wird angeführt, dass böswilliges Unterlassen nur dann anzunehmen sei, wenn es mindestens eine konkrete Erwerbsmöglichkeit gab, die dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin bekannt war (LAG Hamburg, Urt. v. 06.04.2023 – 8 Sa 51/22). Andere meinen, dass aufgrund mangelnder Rechtssicherheit nicht auf die Anzahl einzelner Eigenbewerbungen abgestellt werden könne (LAG Hessen, Urt. v. 25.06.2021 – 10 Sa 1233/20) oder aber, dass ein Zeitraum von drei Monaten maßgeblich sei, in dem eine neue Stelle zu finden und anzutreten sei (LAG Köln, Urt. v. 10.10.2023 – 4 Sa 22/23). Wiederum andere sprechen sich für die Notwendigkeit weitgehender Erwerbsbemühungen des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin aus: Das LAG Berlin-Brandenburg entschied im Jahr 2022 über einen Fall, in welchem ein Arbeitnehmer nach Arbeitslosmeldung verschiedene Vermittlungsangebote erhielt und in 29 Monaten rund 100 Bewerbungen abschickte (rechnerisch entspricht dies weniger als eine Bewerbung pro Woche). Dies stufte das LAG als unzureichend ein. Es berücksichtigte dabei auch, dass die Bewerbungen fehlerhaft und von mangelnder Qualität waren. Zudem war der Arbeitnehmer auf Nachfrage von potenziellen Arbeitgebern zum Teil nicht erreichbar. Unter Abwägung dieser Faktoren nahm das LAG unzureichende Bewerbungsbemühungen und damit ein böswilliges Unterlassen an (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.09.2022 – 6 Sa 280/22).

Anders als die Landesarbeitsgerichte hat sich das BAG zu solchen Konkretisierungen bislang vage gehalten. In seiner jüngsten Entscheidung zum Annahmeverzugslohn aus Februar 2024 hat das Gericht aber nunmehr zu dem Umfang der Bewerbungsobliegenheiten von Beschäftigten Stellung bezogen und die Aussage des LAG Berlin-Brandenburgs relativiert. Das BAG hat klargestellt, dass Beschäftigte nicht generell und ohne Weiteres dazu verpflichtet sind, sich unermüdlich um eine zumutbare Arbeit zu kümmern. Dies ergibt sich nach Auffassung des BAG aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und dem Grundrecht von Beschäftigten auf freie Arbeitsplatzwahl (Art. 12 GG), welche bei der Gesamtabwägung zur Bestimmung von böswillig unterlassenem Erwerb zu berücksichtigen sind (BAG, Urt. v. 07.02.2024 – 5 AZR 177/23).

Übersendung geeigneter Stellenangebote durch Unternehmen

Auch zu weiteren wichtigen Punkten im Zusammenhang mit der Anrechnung von böswillig unterlassenem Erwerb hat das BAG in seiner aktuellen Entscheidung Stellung genommen:

So stellte es klar, dass Unternehmen die Möglichkeit haben, Beschäftigten geeignete Stellenangebote aus Zeitungsannoncen oder Jobportalen zu übermitteln, um sie aktiv zur Prüfung von Beschäftigungsoptionen zu veranlassen. Ebenso wie bei Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit trägt der Arbeitgeber bei solche Jobangeboten die Darlegungslast dafür, dass die Stellen zumutbar sind. Beschäftigte müssen sich dann aber zu ihren Bewerbungsbemühungen erklären.

Die Zumutbarkeit beurteilt sich dabei insbesondere nach der Person des in Frage stehenden Arbeitgebers, der Art der Arbeit und den sonstigen Arbeitsbedingungen. Eine geringere Vergütung im Verhältnis zum bisherigen Verdienst begründet dabei noch keine Unzumutbarkeit der Tätigkeit. Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen muss der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin allerdings nicht ohne Weiteres hinnehmen. Darüber hinaus darf die andere Tätigkeit auch nicht mit Pflichten aus dem gekündigten Arbeitsverhältnis kollidieren, etwa mit einem Wettbewerbsverbot (BAG, Urt. v. 07.02.2024 – 5 AZR 177/23). Letztlich ist also stets eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.

Was bedeutet das für die Praxis?

Um der unbeschränkten Ansammlung von Annahmeverzugslohn-Ansprüchen entgegenzuwirken, müssen Unternehmen rechtzeitig tätig werden. Ist ein Rechtstreit über eine Kündigung anhängig, sollten Unternehmen ab Ablauf der Kündigungsfrist in regelmäßigen Abständen geeignete Stellenangebote an den gekündigten Arbeitnehmer oder die gekündigte Arbeitnehmerin übersenden. Solche Stellenangebote können Unternehmen über Anzeigeportale oder Annoncen finden. Unternehmen sollten dabei darauf achten, den Versand und Zugang der Stellenangebote zu dokumentieren. Auch die Einzelheiten der übersandten Stellenausschreibungen sollten dokumentiert und aufbewahrt werden, um Geeignetheit und Zumutbarkeit der Stellen nötigenfalls darlegen zu können. Schließlich sollten Unternehmen ergänzend den Auskunftsanspruch in Bezug auf Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit oder des Jobcenters geltend machen. Dabei ist darauf zu achten, dass das Auskunftsverlangen konkret gefasst ist und den Gegenstand der begehrten Auskunft möglichst genau benennt.