Unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge in Tarifverträgen können gerechtfertigt sein
Das Bundesarbeitsgericht hat heute entschieden, dass eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Ein solcher kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen (BAG, Urteil vom 22. Februar 2023 – 10 AZR 332/20 u.a. – Pressemitteilung unten im Kommentar).
Viele Tarifverträge unter anderem in Lebensmittelindustrie sehen unterschiedliche Zuschläge vor, je nachdem ob Nachtarbeit regelmäßig oder unregelmäßig geleistet wird. Die Gewerkschaft NGG hält eine solche Differenzierung in den eigenen Tarifverträgen für nicht gerechtfertigt und hat zahllose Arbeitnehmer dabei unterstützt, solche Klauseln zu Fall zu bringen. Nach Angaben der NGG sind derzeit rund 6.000 Klagen bei den Arbeitsgerichten anhängig, die Streitwerte sollen sich auf insgesamt gut 50 Millionen Euro summieren.
Das BAG hat heute Klartext gesprochen und in mehreren Verfahren die Zahlungsklagen abgewiesen. Den Tarifvertragsparteien sei es im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie nicht verwehrt, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dieser weitere Zweck ergebe sich aus dem Inhalt der Bestimmungen des Manteltarifvertrages. Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolge nicht. Es liege im Ermessen der Tarifvertragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen.
Die Entscheidung ist zu begrüßen, weil sie die Unsicherheiten beseitigt, die durch die vielen Klagen entstanden waren. Wenn die NGG die Differenzierung bei Nachtarbeitszuschlägen beseitigen will, muss sie die Tarifverträge ändern und hierzu Verhandlungen mit den Arbeitgeberverbänden aufnehmen. Ob es dazu kommen wird, bleibt freilich abzuwarten: Denn nicht wenige Unternehmen, die aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sind und die noch an den zuletzt geltenden Tarifvertrag gebunden sind (sog. „Nachbindung“), würden davon profitieren, weil mit Änderung des Tarifvertrages dann auch die Nachbindung enden würde. Das ist auch der Grund dafür gewesen, dass die NGG versucht hat, die entsprechenden Bestimmungen in den eigenen Tarifverträgen mit Hilfe der Arbeitsgerichte juristisch zu Fall zu bringen – was viele betroffene Unternehmen als „Taschenspielertrick“ bewertet haben. Mit den heutigen Urteilen hat das Bundesarbeitsgericht also auch die Tarifautonomie gestärkt.
Die Pressemitteilung des BAG ist hier hinterlegt.