Neue EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz
Der „Equal-Pay“-Grundsatz hat in Deutschland erst vor Kurzem mit einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (16.02.2023 – 8 AZR 450/21 mit der Aussage, dass individuelle Gehaltsverhandlungen kein Rechtfertigungsgrund für die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen sind) für Aufsehen gesorgt – nun zieht die EU nach. Eine neue EU-Richtlinie soll mittels Entgelttransparenz und neuen Durchsetzungsmechanismen dem „Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit“ zu mehr Geltung verhelfen – Arbeitgeber sehen sich zukünftig mit umfangreichen neuen Pflichten konfrontiert, im schlimmsten Fall drohen Schadensersatzansprüche und Sanktionen. Hintergrund ist, dass EU-weit Frauen ca. 13% weniger verdienen als Männer.
Stärkung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen
Mit Art. 157 AEUV ist das Gebot der Entgeltgleichheit für gleiche und gleichwertige Arbeit für Männer und Frauen im primären Unionsrecht bereits seit den römischen Verträgen 1957 verankert und damit in Deutschland unmittelbar geltendes Gesetz. Mit dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) wollte der nationale Gesetzgeber, den Vertragsparteien des Arbeitsverhältnisses ein Mittel gegen die bestehende Lohnungleichheit, das sog. Gender Pay Gap, an die Hand geben. Bereits kurze Zeit nach seinem In-Kraft-Treten fiel die Bilanz über die Wirkung des EntgTranspG eher ernüchternd aus: Mit der Umsetzung des Gesetzes hatten nur wenige Betriebe begonnen und auch nur wenige Arbeitnehmende machten ihren Auskunftsanspruch geltend. Das EntgTranspG spielt in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle. Fast sechs Jahre später nach der Einführung des EntgTranspG hat sich an dieser Ausgangssituation nur wenig geändert, wie der Fall der Klägerin vor dem BAG im Februar 2023 gezeigt hat.
Die nun am 30.03.2023 vom EU-Parlament beschlossene Richtlinie will mit neuen Regelungen für mehr Lohntransparenz und entsprechenden Durchsetzungsmechanismen der Erreichung von Entgeltgleichheit mehr Durchsetzungskraft verleihen. Eine deutlich größere Reichweite und eine deutlich stärke Rechtsposition für Arbeitnehmende soll beispielsweise der in Art. 7 der Richtlinie vorgesehen Auskunftsanspruch haben, da dieser unabhängig von der Größe des Unternehmens gelten soll und hierfür nicht, wie im EntgTranspG vorgesehen, auf den Median, sondern auf den Durchschnittslohn der Kollegen und Kolleginnen abgestellt werden soll (dazu sogleich).
Durch die neue Richtlinie könnte der „Grundsatz des gleichen Entgelts“ vom bisher eher zahnlosen Papiertiger zum effektiven Mittel der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen werden. Aus deutscher Sicht wird die Richtlinie grundlegende und weitreichende Überarbeitungen des EntgTranspG erforderlich machen. Für Arbeitgeber bedeutet dies, sich frühzeitig auf geänderte Spielregeln und mehr Rechte für Arbeitnehmende einzustellen.
Informationspflicht des Arbeitgebers
Nach der Richtlinie besteht zukünftig eine weitgehende Informationspflicht des Arbeitgebers. Gem. Art. 6 Abs. 1 müssen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmenden Informationen darüber zur Verfügung stellen, welche Kriterien für die Festlegung ihres Entgelts, ihrer Entgelthöhen und ihrer Entgeltentwicklung verwendet werden. Diese Kriterien müssen gem. Art. 6 Abs. 1 „objektiv und geschlechtsneutral“ sein. Hierin stimmt die Richtlinie mit dem erst kürzlich erlassenen Urteil des BAG zur Entgeltgleichheit (16.02.2023 – 8 AZR 450/21) überein, das auch in Deutschland hohe Wellen geschlagen hat (Siehe auch: Kein höheres Gehalt aufgrund besseren Verhandlungsgeschicks: Die Auswirkungen des BAG-Urteils vom 16.02.2023 zur Entgeltgleichheit für die Praxis).
Wie diese Pflicht in Deutschland umgesetzt wird, ist noch abzuwarten. Grundsätzlich soll die Verpflichtung für alle Arbeitgeber gelten. Jedoch sieht die Richtlinie in Art. 6 Abs. 2 vor, dass die Mitgliedsstaaten Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmenden von der Verpflichtung nach Art. 6 Abs. 1 ausnehmen können. Ob der deutsche Gesetzgeber dies tun wird, bleibt abzuwarten.
Auskunftsansprüche der Arbeitnehmenden
Das „Herzstück“ der Richtlinie sind die umfangreichen Auskunftsansprüche der Arbeitnehmenden. Im Gegensatz zum deutschen EntgTranspG sieht die Richtlinie ein Auskunftsrecht für Arbeitnehmende (und ihre Vertretungen, so z.B. den Betriebsrat) über ihr individuelles Einkommen und über das Durchschnittseinkommen unabhängig von der Unternehmensgröße vor. In Deutschland gibt es einen Auskunftsanspruch zu Entgeltfragen nach dem EntgTranspG bisher nur in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten. Der Umfang der aktuell geltenden Regeln im Entgelttransparenzgesetz wird damit deutlich erweitert.
Diese Auskünfte müssen nach der Richtlinie in schriftlicher Form sowie aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Gruppen von Arbeitnehmenden, die gleiche Arbeit oder gleichwertige Arbeit verrichten, erteilt werden. Außerdem hat der Arbeitgeber hierfür nur eine „angemessene Frist“, höchstens aber zwei Monate lang Zeit.
Über diese umfangreichen Auskunftsansprüche müssen Arbeitgeber ihre Arbeitnehmenden zudem zukünftig selbstständig und jährlich informieren. Arbeitgeber werden hier voraussichtlich – ähnlich wie beim Verfall von Urlaubsansprüchen (Siehe auch: Verfall und Verjährung von Urlaubs(abgeltungs)ansprüchen) – künftig in regelmäßigen Abständen ein entsprechendes Schreiben an ihre Arbeitnehmenden ausgeben müssen. Hier wartet neuer Verwaltungsaufwand auf die Arbeitgeber.
Im Bewerbungsprozess: Recht auf Information über das Entgelt und Frageverbot
Die Rechte der (künftigen) Arbeitnehmenden setzen nun schon bei der Bewerbung ein. Das bedeutet, dass Arbeitgeber bereits im Bewerbungsprozess und bei der Einstellung mit erhöhten Anforderungen in Sachen Entgelttransparenz konfrontiert sein werden.
So haben Stellenbewerber gem. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie das Recht, vom künftigen Arbeitgeber Informationen über
- das auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruhende Einstiegsentgelt für die betreffende Stelle oder zumindest dessen Spanne sowie
- die ggf. einschlägigen Bestimmungen eines Tarifvertrags, den der Arbeitgeber in Bezug auf die Stelle anwendet,
zu erhalten. Der Arbeitgeber muss diese Informationen so bereitstellen, dass „fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden“. Die Richtlinie nennt hier als Beispiele das Veröffentlichen dieser Informationen in einer Stellenausschreibung, oder die Mitteilung vor dem Vorstellungsgespräch. Diese Aufzählung ist jedoch nicht abschließend und die Richtlinie lässt ausdrücklich zu, dass die Information auf „auf andere Weise“ erfolgen kann – hier dürfte den Arbeitgebern daher auch in Zukunft ein entsprechender Spielraum erhalten bleiben.
Die Richtlinie sieht zudem in Art. 5 Abs. 2 vor, dass der Arbeitgeber Bewerber künftig nicht mehr nach ihrer Entgeltentwicklung im laufenden oder in früheren Beschäftigungsverhältnissen befragen darf. Ähnlich wie bei anderen, bereits jetzt mangels Fragerecht, als unzulässig geltenden Fragen (bekannteste Beispiele: Fragen nach Kinderwunsch oder Schwangerschaft) ist daher davon auszugehen, dass Bewerber in Zukunft, wenn ein Arbeitgeber diese unzulässige Frage stellen sollte, nicht antworten müssen oder auch lügen dürfen, ohne dass dies arbeitsrechtlich Konsequenzen haben kann.
Berichtspflichten der Arbeitgeber
Die Mitgliedsstaaten müssen sicherstellen, dass Arbeitgeber in Zukunft darüber Bericht erstatten, wie es um die Entgeltgleichheit unter ihren Arbeitnehmenden bestellt ist. Hierbei sind insbesondere Informationen über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle (bei Fixvergütung sowie bei ergänzenden/variablen Vergütungsbestandteilen), den Anteil der Arbeitnehmenden, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten und den Anteil der Arbeitnehmenden in jedem Entgeltquartal.
Je nach Anzahl der Arbeitnehmenden sieht die Richtlinie einen unterschiedlichen Berichtsrhythmus vor:
- Arbeitgeber mit weniger als 100 Arbeitnehmenden: nach der Richtlinie nicht von der Berichtspflicht erfasst, jedoch können die einzelnen Mitgliedsstaaten eine entsprechende Verpflichtung im nationalen Recht schaffen. Ob dies in Deutschland der Fall ist, bleibt abzuwarten.
- Arbeitgeber mit 100 – 149 Arbeitnehmenden: nach Inkrafttreten der Richtlinie acht Jahre Zeit zur erstmaligen Vorlage der Informationen, danach Berichterstattung alle drei Jahre
- Arbeitgeber mit 150 – 249 Arbeitnehmenden: nach Inkrafttreten der Richtlinie vier Jahre Zeit zur erstmaligen Vorlage der Informationen, danach Berichterstattung alle drei Jahre
- Arbeitgeber mit ab 250 Arbeitnehmenden: nach Inkrafttreten der Richtlinie vier Jahre Zeit zur erstmaligen Vorlage der Informationen, danach Berichterstattung jedes Jahr
In gewissen Fällen, nämlich wenn sich aus den Berichten ein gravierendes Gefälle ergibt, müssen die Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber gem. Art. 10 der Richtlinie verpflichten, in Zusammenarbeit mit ihren Arbeitnehmervertretern eine gemeinsame Entgeltbewertung vornehmen. Wie der deutsche Gesetzgeber diese Verpflichtung ausgestalten wird, bleibt abzuwarten.
Umkehr der Beweislast
Die Richtlinie enthält in Art. 18 zudem eine umfangreiche Umkehr der Beweislast zulasten der Arbeitgeber. Arbeitnehmende müssen demnach künftig nur Tatsachen glaubhaft machen, die die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen. Der Arbeitgeber kann diese Vermutung nur widerlegen, wenn er nachweist, dass keine unmittelbare oder mittelbare Entgeltdiskriminierung vorliegt.
Entsprechend hatte bereits das BAG im Urteil vom 16.02.2023 (8 AZR 450/21) angenommen, dass der Umstand, dass Arbeitnehmende verschiedenen Geschlechts mit vergleichbarer Tätigkeit unterschiedlich bezahlt werden, die Vermutung einer unmittelbaren Entgeltbenachteiligung i. S. d. §§ 3,7 EntgTranspG “wegen des Geschlechts” begründet. Arbeitgeber können diese Vermutung zwar erschüttern, müssten dazu jedoch beweisen, dass die ungünstigere Bezahlung ausschließlich auf objektiven und geschlechtsneutralen Gründen beruht (was der Beklagten vorliegend nicht gelang, vgl. Kein höheres Gehalt aufgrund besseren Verhandlungsgeschicks: Die Auswirkungen des BAG-Urteils vom 16.02.2023 zur Entgeltgleichheit für die Praxis ).
Schadensersatz
Arbeitnehmenden steht gem. Art. 16 der Richtlinie ein Schadensersatzanspruch wegen der erlittenen Verletzung zur Verfügung. Die Mitgliedsstaaten müssen sicherstellen, dass dieser Schadensersatz die vollständige Nachzahlung entgangener Entgelte und damit verbundener Boni oder Sachleistungen sowie den Schadensersatz für entgangene Chancen, immateriellen Schaden, jeglichen Schaden, der durch andere relevante Faktoren verursacht wurde, zu denen auch intersektionelle Diskriminierung zählen kann, und Verzugszinsen umfasst.
Sanktionen
Die Mitgliedstaaten müssen zudem gem. Art. 23 der Richtlinie Vorschriften erlassen, die „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ für die Verletzung der Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts vorsehen. Wie hoch die Sanktionen konkret ausfallen werden, muss mit der Umsetzung ins nationale Recht abgewartete werden. Es ist jedoch zu erwarten, dass diese Sanktionen eine nicht nur unbedeutende Höhe haben werden, denn bereits die Richtlinie verlangt, dass sie „tatsächlich abschreckende Wirkung“ haben müssen.
Drei Jahre Zeit für die Umsetzung – Handlungsbedarf ab sofort
Die Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Alle EU-Länder (und so auch Deutschland) haben anschließend gem. Art 34 der Richtlinie drei Jahre Zeit, sie umzusetzen. In Deutschland wird dies im Wesentlichen zu Änderungen des Entgelttransparenzgesetzes führen. Die Umsetzung der EU-Richtlinie darf daher mit großer Spannung erwartet werden. Arbeitgeber sollten sich bereits jetzt schon auf die erhöhten Anforderungen an Auskünfte und Berichtspflichten vorbereiten und überprüfen, ob sie den von der Rechtsprechung und der EU-Richtlinie geforderten gesteigerten Anforderungen an Entgeltgleichheit nachkommen.
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