BAG: Ausübung eines Kapitalwahlrechts durch Arbeitgeber rechtfertigungsbedürftig
Nach der ersten Grundsatzentscheidung zu Kapitalwahlrechten (BAG, Urteil vom 17. Januar 2023 – 3 AZR 220/22), über die wir Anfang März berichtet haben (Kapitalwahlrecht des Arbeitgebers bei BAV muss wertgleich sein – Altenburg), hat der dritte Senat des BAG nun auch die Entscheidungsgründe für sein zweites Urteil zu diesem Thema veröffentlicht (BAG, Urteil vom 17. Januar 2023 – 3 AZR 501/21).
Gegenstand ist eine weit verbreitete Klausel, die dem Arbeitgeber das Recht einräumt, anstelle der Rente eine wertgleiche Kapitalleistung zu zahlen, wobei der Barwert nach der Pensionsrückstellung gemäß § 6a EStG berechnet wird. Da hier ein Rechnungszinsfuß von 6% vorgesehen ist, ist die Ausübung die Kapitalleistung für den Arbeitgeber typischerweise mit erheblichen Einsparungen verbunden.
Das BAG ordnete die Klausel – entgegen der Vorinstanz – nicht als Wahlschuld, sondern als Ersetzungsbefugnis ein, die einer Kontrolle gemäß § 308 Nr. 4 BGB standhielt. Die Angabe von Gründen für die Ausübung des Wahlrechts sei in der Klausel nicht erforderlich. Die Klausel sei angemessen, weil die Rentenleistung nur durch eine wertgleiche Kapitalleistung ersetzt werde. Insgesamt dürfte die Wirksamkeit der Klausel bei vielen Arbeitgebern Erleichterung auslösen.
Man sollte sich jedoch nicht zu früh freuen. Der Senat brauchte sich nicht damit auseinanderzusetzen, dass die vorgegebene Berechnungsmethode für die „wertgleiche, einmalige Kapitalabfindung“ wirtschaftlich betrachtet zu Nachteilen für den Versorgungsempfänger führen kann. Diese Frage ist daher noch offen. Zudem schreibt der Senat eine Kontrolle der Ausübung des Wahlrechts gemäß § 315 BGB vor. Die Wahl der Kapitalleistung muss billigem Ermessen entsprechen. Während das BAG dem Versorgungsempfänger im Grundsatz gewichtige Interessen an der Beibehaltung der ursprünglichen Rentenzahlung zubilligt, „kann“ demgegenüber für den Arbeitgeber lediglich ein Interesse an der Umstellung erwachsen. Anschließend zählt der Senat Beispiele für billigenswerte Interessen des Arbeitgebers auf.
Faktisch ist damit die Ausübung des Kapitalwahlrechts rechtfertigungsbedürftig. Allein die wirtschaftlichen Vorteile der Kapitalzahlung für den Arbeitgeber reichen dabei nicht aus. Bereits 2019 hatte der Senat entschieden, dass vergleichbare Vorteile für den Arbeitgeber aufgrund der symmetrischen Nachteile für den Empfänger bei der Bewertung neutral sind (BAG, Urteil vom 14. Mai 2019 – 3 AZR 150/17). Der Arbeitgeber muss daher Gründe wie beispielsweise einen unvorhersehbar gestiegenen Verwaltungsaufwand, wirtschaftliche Probleme oder eine relevante Veränderung rechtlicher Rahmenbedingungen darlegen, um vom Kapitalwahlrecht profitieren zu können.
Die dadurch entstehende Unsicherheit wird sich beim Verkauf von Unternehmen mit vergleichbaren Versorgungszusagen auswirken und dürfte auch künftig die Arbeitsgerichte beschäftigen. Für die Gestaltung von Versorgungszusagen wird die explizite Vereinbarung einer Wahlschuld eine zunehmend interessante Alternative.